Mit einer Breite von gerade einmal 72 Zentimetern an seiner schmalsten Stelle gilt das Keret-Haus (Dom Kereta) in Warschau als das schmalste Wohnhaus der Welt. Zwischen zwei Gebäuden eingeklemmt, einem Vorkriegsmietshaus in der Chlodna-Straße Nr. 22 und einem Plattenbau aus den 1970er Jahren in der Zelazna-Straße Nr. 74, wurde es 2012 in eine bis dahin ungenutzte Baulücke eingefügt.
Dieser schmale Spalt birgt nicht nur architektonische Raffinesse, sondern auch historische Bedeutung: In unmittelbarer Nähe befand sich einst eine hölzerne Fußgängerbrücke, die im Zweiten Weltkrieg das sogenannte „kleine Ghetto“ mit dem „großen Ghetto“ verband. Genau diese Kontraste, architektonisch wie geschichtlich, faszinierten den Architekten und Künstler Jakub Szczesny, der das Haus über das Architekturbüro Centrala konzipierte.
Das Keret-Haus erstreckt sich über zwei Etagen und umfasst lediglich 14,09 Quadratmeter Nutzfläche. Dennoch ist es erstaunlich funktional ausgestattet und verfügt über ein Schlafzimmer, eine kleine Küche, ein Badezimmer sowie einen Wohnbereich. Die weißen Innenräume lassen die Lichtverhältnisse trotz der geringen Fläche großzügiger wirken.
Obwohl das Keret-Haus bewohnbar ist, erfüllt es nicht die polnischen Baunormen und wird daher offiziell als „Kunstinstallation“ klassifiziert. Dennoch ist es ein voll funktionsfähiger Raum zum Leben und Arbeiten – genau darin liegt sein Charme. Die Energieversorgung erfolgt über das Nachbargebäude, während Wasser und Abwasser durch speziell entwickelte Systeme reguliert werden, da keine Anbindung an die städtische Infrastruktur besteht.
Die Realisierung des Projekts wurde von der Stadtverwaltung Warschaus sowie der Polish Modern Art Foundation unterstützt. Seinen Namen verdankt das Haus dem israelischen Schriftsteller Etgar Keret, der als erster Bewohner einzog, und dessen Eltern Überlebende des Warschauer Ghettos sind.
Was als architektonisches Experiment begann, ist längst zu einem weltweit beachteten Symbol für urbane Kreativität und verdichteten Wohnraum geworden. Das Keret-Haus zieht Medien und Architekturliebhaber aus aller Welt an. Nicht zuletzt definiert es die Grenzen zwischen Architektur und Kunst neu.