Wege aus dem Pflegenotstand – Impulse aus dem Ausland und der Zukunft

08.05.2024

Das deutsche Gesundheitssystem krankt: überlastete Krankenhäuser, überarbeitete Fachkräfte, explodierende Kosten bei Pflegeplätzen und Refinanzierungssorgen bei Betreibern. Trotz des fundamental starken Treibers der Demographie steht das deutsche Gesundheitswesen vor großen Herausforderungen. Doch Herausforderungen beinhalten auch Chancen, wie ein Blick ins Ausland und auf das Potential von Zukunftstechnologien zeigt.

Nehmen wir uns aus der Welt des deutschen Gesundheitswesens exemplarisch einmal die Pflegeheime heraus. Diese stehen insbesondere vor zwei großen Herausforderungen: dem Fachkräftemangel und der (Re)Finanzierung. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber 2022 die Bezahlung auf Tarifniveau in der Langzeitpflege zur Pflicht gemacht. Doch zum Gamechanger hat diese Entscheidung nicht gereicht. Denn neben dem Lohnfaktor ächzt die Attraktivität des Pflegeberufs auch – oder hauptsächlich – unter den Arbeitsbedingungen. So besteht bspw. Verbesserungsbedarf beim Pflegeaufwand – um wie viele Bewohner sich eine Fachkraft kümmert und wie viel Zeit ihr dafür zur Verfügung steht – und der digitalen Ausstattung. In einer 2023 veröffentlichten Arbeitsplatzstudie des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gaben 75 Prozent der befragten Pflegekräfte an, dass bei ihrer Arbeit eine elektronische Patientenakte von Vorteil wäre. 80 Prozent wünschen sich einen stabilen Internetzugang während der Arbeit. Darüber hinaus würden flexible Arbeitszeitmodelle die Attraktivität des Pflegeberufes deutlich erhöhen, so die Studie.

Faktoren, die man als Pflegekraft in den skandinavischen Ländern bereits vorfindet. In Schweden hat sich beispielsweise das flexible Arbeitszeitmodell „drei Tage arbeiten, drei Tage frei“ im Gesundheitswesen bewährt. Hierbei handelt es sich um eine 85-Prozent-Anstellung bei Vollzeit-Vergütung. Die Folge: Mitarbeiter können sich besser erholen, sodass die Kosten für Krankheitstage um im Schnitt über 40 Prozent gesunken sind. Auch kündigen weniger Mitarbeiter. Darüber hinaus ist der Personalschlüssel deutlich besser als in Deutschland. Betreut in Deutschland eine Pflegekraft etwas 13 Patienten, sind es in Skandinavien im Schnitt nur vier. Dies liegt hauptsächlich daran, dass in den skandinavischen Ländern Altenpflegeeinrichtungen durch die öffentliche Hand, meist in kommunaler Verantwortung, betrieben und im Unterhalt aus Steuermitteln finanziert werden, und nicht, wie in Deutschland, durch Pflegesätze pro Bewohner. Folglich muss in Skandinavien kein Gewinn mit Patienten – zu Lasten der Personalkosten – gemacht werden, was wiederum dem Personalschlüssel zugutekommt. Zudem gewährleistet die gesicherte Vollversorgung durch Steuereinahmen, dass Pflegebedürftige bzw. ihre Angehörigen fast keine Ausgaben für ihre Pflege in Kauf nehmen müssen und sich Betreiber folglich keine Sorgen um die (Re)Finanzierung machen müssen.

Dass das Finanzierungssystem in Deutschland umgestellt wird, ist nicht zu erwarten. Dennoch gibt es auch hierzulande Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um den Pflegenotstand zu mindern: Die Korian Stiftung für Pflege und würdevolles Altern macht sich um die hiesige Pflegesituation Gedanken und erforscht in ihrem laufenden Modellprojekt „Pflege 2030“, das 2022 gestartet wurde, wie die Pflegequalität langfristig gesteigert und zeitgleich die Zufriedenheit des Personals erhöht werden kann. Erste Zwischenergebnisse zeigen: um den Einsatz neuer digitaler Technologien wird man nicht herumkommen. Neben Internetzugang oder bspw. digitaler Krankenakte könnte auch der Einsatz von Pflegerobotern hilfreich sein, um die erhöhte Belastung im täglichen Ablauf zu verringern. So könnten Roboter zunächst im operativen Betrieb zur Unterstützung eingesetzt werden, wie bspw. der Verteilung der Speisen, Assistenz bei der Hygiene oder dem Zurechtmachen der Betten. Dies würde die Angestellten entlasten, ihnen mehr Zeit für die Patienten geben und letztlich sogar mehr Budget zugunsten des Pflegepersonals verlagern. Das würde auch dazu führen, die Dienstpläne zuverlässiger zu machen und die Akzeptanz bzw. Attraktivität des Pflegeberufs in Deutschland zu erhöhen.

Deutschlands führender Robotik-Forscher, Professor Sami Haddadin von der Technischen Universität München (TUM), geht davon aus, dass Roboterassistenten in 20 Jahren dem Pflegepersonal sehr viele Aufgaben abnehmen werden. Dies würde die aktuelle Situation deutlich entspannen. Oder um es mit den Worten von Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Judith Gerlach zu sagen: „Wir brauchen Ideen und den Mut, neue Wege zu gehen, um die großen Herausforderungen im Pflegebereich stemmen zu können.“

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