Im Gespräch mit Marc Brütsch, Chefökonom bei Swiss Life Asset Managers „Wohn- und Gesundheitssektor zeigen sich robust gegenüber konjunkturellen Schwankungen“

26.07.2023

Sind Ihre Prognosen für 2023 bisher so eingetreten?
Zu Beginn des Jahres haben wir fünf Thesen formuliert. Von diesen sind drei eingetreten: Die Annahme, dass wir eine milde Rezession erleben werden, hat sich bestätigt. Gleichzeitig gingen wir davon aus, dass diese Rezession keine starken Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen würde, was sich ebenfalls bestätigt hat. Und drittens ist der Rückgang der Inflationsrate eingetreten.

Was ist anders gelaufen?
Das sind dann die verbleibenden beiden Thesen. Wir hatten einen stärkeren Impuls aus China für die Weltwirtschaft erwartet. Vor allem aber hatten wir erwartet, dass die Notenbanken schon im Laufe des zweiten Quartals ihre Geldpolitik nicht weiter straffen würden, sodass sich daraus für die Investoren eine bessere langfristige Planungssicherheit und nicht weiter steigende Finanzierungskosten ergeben würde. Dies, und auch die erwartete Rückkehr von Transaktionen an den Immobilienmärkten tritt nun erst mit Verspätung ein.

Auf welche Entwicklungen müssen wir uns weiterhin einstellen?
Auch die milde Rezession wird Spuren in der Realwirtschaft hinterlassen. Die gestiegenen Finanzierungskosten werden sich in steigenden Firmenkonkursen niederschlagen. Gesamtwirtschaftlich werden sich die USA und Europa im Kriechgang fortbewegen. Die Wachstumsraten werden unter dem jeweiligen Potential der Volkswirtschaften liegen. Mit der erwähnten Verzögerung wird das Ende der Zinspolitik erst zur Jahresmitte 2023 eintreten. In der Eurozone darf im Laufe des Jahres 2024 mit einem Rückgang der Inflationsrate auf das EU-Ziel von rund 2 Prozent gerechnet werden. Das bringt Entspannung auf den Finanzmärkten und nimmt Druck von der EZB.

Wie ist die deutsche Wirtschaft darauf vorbereitet?
Deutschland ist neben Schweden und dem Vereinigten Königreich besonders stark von der Rezessionsgefahr betroffen. Der Bestellungseingang in der Exportwirtschaft als eine der Säulen der deutschen Wirtschaft verzeichnet einen starken Rückgang. Die Bauwirtschaft leidet unter den gestiegenen Finanzierungskosten, was bereits in einem Rückgang der Bauanträge erkennbar ist. Entscheidend wird nun sein, dass die Versorgungssicherheit mit Energie auch im zweiten Winter seit Ausbruch des Ukrainekriegs gewährleistet bleibt.

Was sollte die Immobilienwirtschaft hier beachten?
Die Immobilienwirtschaft muss zur Kenntnis nehmen, dass der Zinsanstieg gekommen ist, um zu bleiben. Für Investoren existieren wieder festverzinsliche Anlagealternativen. Ebenso ist die Energiewende ein Fakt. First Mover bei alternativen Energieversorgungen haben hier definitiv Vorteile. Die Qualität eines Objekts bezieht sich nicht nur auf die Lage, sondern auch auf die Immobilie selbst wie sie in Bezug auf ESG aufgestellt ist. Aufgrund der geringen Bautätigkeit besteht allgemein kein Problem eines Überangebots. Die Nachfrage insbesondere im Wohn- und Gesundheitsektor bleibt bestehen. Wohnen und Gesundheit sind weitestgehend immun gegen konjunkturelle Schwankungen. Wer in der Lage ist, solche Angebote neu auf den Markt zu bringen oder bestehende Immobilien entsprechend umzunutzen, ist im Vorteil. Mit dem Ende der Leitzinserhöhungen durch die Notenbanken rückt ein Anstieg der Transaktionen ab Mitte 2023 wieder in Sicht.

Eine private Frage: Was machen Sie am liebsten, wenn Sie nicht am Schreibtisch sitzen?
Nachdem ich mit meiner Familie für ein Jahr in Paris gelebt habe, kehren wir im Spätsommer wieder nach Zürich zurück. Und hier haben wir einen Garten. Auch wenn ich nicht den klassischen grünen Daumen habe, habe ich den Anbau von Tomaten für mich entdeckt. Bisher arbeite ich noch mit eingekauften Setzlingen. Aber mein Ziel geht weiter: Künftig möchte ich alte Tomatensorten aus selbstgezogenen Samen ernten.

Marc Brütsch

Marc Brütsch ist seit Abschluss des Studiums der Nationalökonomie und der Publizistikwissenschaften an der Universität Zürich für Swiss Life tätig. In den Jahren 1996 und 1997 lebte und arbeitete er in England. Anschließend übernahm er die Verantwortung für die Konjunkturanalyse als Grundlage der gruppenweiten Anlageentscheide bei Swiss Life. Seit März 2000 bekleidet er die Funktion des Chief Economist von Swiss Life Asset Managers. Wie auch bereits für die Jahre 2015, 2017, 2019 und 2020 zeichnete die Firma Consensus Economics in London ihn und sein Team jüngst für das Jahr 2022 mit dem seit 2013 vergebenen Gütesiegel „Forecast Accuracy Award“ für die beste Prognose zur Konjunktur in der Schweiz aus. Den gleichen Preis gewann er 2019 auch für seine Prognosen für die Eurozone.

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