Im Gespräch mit Francesca Boucard: „Die Immobilien-Märkte sind nach wie vor gut aufgestellt!“

03.08.2022

Können Sie kurz beschreiben, was Ihre Tätigkeit als Head Real Estate Research and Strategy umfasst?
Mit meinem Team bin ich für die Analyse der europäischen Immobilienmärkte verantwortlich. Im Fokus stehen neben der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Großbritannien auch ganz neu Norwegen bzw. die nordischen Staaten – d. h. Märkte, in denen wir mit eigenen Gesellschaften vertreten sind. Im Rahmen des laufenden Monitorings haben wir auch die übrigen Ziel- und optionalen Investmentmärkte im Blick, darunter auch solche, in denen wir aktuell nicht aktiv sind, wie z. B. Mittel- und Osteuropa. Daneben schauen wir uns aber auch Nischenmärkte wie Polen, Tschechien und Ungarn an, um auf dem Laufenden zu bleiben und mögliche Opportunitäten frühzeitig abschätzen zu können. Wir schauen in den einzelnen Ländern, welche Trends beobachtbar sind, beziehen das makroökonomische Umfeld mit ein und analysieren, wie sich die Mieten, Renditen und Transaktionen entwickeln. Zusätzlich sind aber auch sozioökonomische Aspekte wie beispielsweise das Verhalten der Konsumenten oder die Art, wie wir wohnen, für die Analyse wichtig. Auf Basis dieser Erkenntnisse formulieren wir eine Investitionsstrategie mit unseren Empfehlungen.

Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten sechs Monaten?
Wir sind in das Jahr 2022 mit der Hoffnung gestartet, dass wir die Auswirkungen von Corona einigermaßen im Griff haben und langsam zu einer Normalität übergehen können. Dann kam der Krieg in der Ukraine und hat quasi alles auf den Kopf gestellt. Wir Ökonomen haben zwar keine Glaskugel, müssen aber trotzdem eine Prognose auf Grundlage der uns vorliegenden Fakten erstellen. Hier mussten wir erst einmal tief Luft holen und uns neu aufstellen. Neben der bereits vorher diskutierten Inflation kam plötzlich ein Zinsanstieg hinzu – Veränderungen, die wir erst mal wieder „erlernen“ müssen. Als Vergleich hatten wir in der Schweiz im Zeitraum von 2009 bis 2019 eine Inflation von Null. Von 2022 bis 2027 erwarten wir im Schnitt 0,9 %. Das klingt zwar wenig, ist aber doch deutlich mehr als Null und zeigt, dass im ersten Halbjahr 2022 viel passiert ist.

Welche Faktoren haben die Immobilien-Märkte beeinflusst?
Im Moment wirkt hier eine Kombination aus vielen Faktoren, welche die Unsicherheit fördert. Neben der Zinsbewegung und der Diskussion rund um die Inflation wirken auch die beschleunigten strukturellen Veränderungen aus der Pandemie nach, wie das vermehrte Online-Shopping oder neue, hybride Arbeitsformen. Allerdings bleibt die Zinserwartung das dominierende Element, das auf die Immobilieninvestment-Märkte einwirkt.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie in den kommenden Monaten?
Den Preis. Investoren, Käufer und Verkäufer treibt aktuell eine große Unsicherheit um, den richtigen Preis für die Objekte zu finden. Das wirtschaftliche Umfeld und die zuvor genannten Faktoren sowie zusätzlich noch die Thematik rund um ESG und soziale Themen nehmen hier großen Einfluss. Die Frage nach dem Marktwert von Immobilien und wie nachhaltig diese sind, werden am meisten im Fokus stehen.

Ist die deutsche Wirtschaft hiervon voraussichtlich stärker betroffen?
Deutschland hat schon eine sehr spezielle Lage mitten in Europa mit einer großen Wirtschaft. Hinzu kommen Themen wie Flüchtlinge aus der Ukraine sowie von Lieferungen aus China teilweise stark abhängige Branchen und die Energieabhängigkeit von Russland. Allerdings wird Deutschland bei einer Zinserhöhung seitens der EZB deutlich besser aufgestellt sein als einige südeuropäische Länder. Auf Deutschland warten dennoch Herausforderungen insbesondere wirtschaftlicher, aber auch demographischer Natur, die das Land aber aufgrund seiner soliden Strukturen bewältigen wird.

Wie gut sind Deutschland und Europa auf diese Herausforderungen vorbereitet?
Steigende Zinsen und eine Inflation in Verbindung mit einem Krieg in Europa hat kaum einer von uns je zuvor erlebt. Wobei uns die letzten zwei Jahre in einem Pandemie-Umfeld grundsätzlich schon auf Veränderungen vorbereitet haben und dadurch Strukturen bereits flexibler geworden sind. Grundsätzlich geht es uns nicht schlecht, auch die Immobilienmietmärkte sind intakt. Die Schwerpunkte der Investitionen werden sich allerdings ändern. Aktives Handeln ist fraglos wichtiger denn je. Als Immobilieninvestor sind wir sehr langfristig orientiert. Mit unserer Strategie können wir das Auf und Ab der Zyklen gut überstehen. Man sollte sich definitiv nicht zu sehr von kurzfristigen Einflüssen leiten lassen, sondern die langfristige Perspektive im Blick behalten.

Francesca Boucard ist Head Real Estate Research & Strategy bei Swiss Life Asset Managers, wo sie seit 2016 Teil des Research Teams ist. Sie verfügt über eine langjährige Expertise im Immobilien- und Ökonomik-Kontext mit Arbeitserfahrungen bei der Schweizerischen Nationalbank und Wüest Partner AG. Ferner besitzt sie einen Masterabschluss der Universität Bern in Volkswirtschaftslehre.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Jetzt mit Freunden teilen!