«Team Transitory» gegen «Team Permanent» – oder wie weiter mit der Inflation?

16.02.2022

«Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen.»

Nicht nur im Märchen, auch im richtigen Leben ist die Teuerung seit Jahrhunderten ein wiederkehrendes Gespenst in der Menschheitsgeschichte. Vor hundert Jahren schlitterte Deutschland in eine Hyperinflation und nun ist die Inflation zum Jahresbeginn 2022 wieder in aller Munde.

 

In der Diskussion um die künftige Entwicklung der Inflation spalten sich die Meinungen in zwei Lager: Eines – in den USA «Team Transitory» genannt –, welches den jüngsten Anstieg der Inflationsraten als weitgehend vorübergehend ansieht, und ein zweites, als «Team Permanent» bezeichnet, welches vor einem nachhaltig veränderten Inflationsregime warnt.

 

Die Mehrheit der Ökonomen bekennt sich mit ihren Prognosen zur Inflation in Deutschland im Jahr 2022 zum «Team Transitory»: Gemäß Konsensuserhebung der Londoner Firma Consensus Economics soll die mittlere Inflationsrate 2022 bei 2,7 % liegen. Damit dies eintrifft, muss die Inflationsrate von aktuell über 5 % bis ins vierte Quartal 2022 wieder unter 2 % fallen. Schleicht sich das Inflations-Gespenst wirklich so rasch wieder davon?

 

Die Nachfrage kann preistreibend wirken, wenn Geld- und Fiskalpolitik gleichzeitig Stimuli zur Stützung der Konjunktur bereitstellen. Anders als 2008 war dies in der Folge der Pandemie der Fall. Über die vergangenen zwei Jahre stützten Geld- und Fiskalpolitik die Nachfrage in den reichen entwickelten Volkwirtschaften erheblich.

 

Auch die angebotsseitigen Gründe für den jüngsten Anstieg der Verbraucherpreise sind unmittelbar auf die Pandemie zurückzuführen. Unterbrochene Lieferketten wirken in vielen Bereichen der Güterherstellung und im internationalen Handel bis heute nach. Die Anbieter können nur allmählich mit der hohen Nachfrage schritthalten. Nun mehren sich aber die Anzeichen, dass sich die Engpässe nun auflösen. Wo dies möglich ist, scheinen die automatischen Schutzschalter der Marktwirtschaft in Form einer Anpassung von Angebot und Nachfrage also dafür zu sorgen, dass rasch neue, tiefere, Gleichgewichtspreise gefunden werden.

 

Bleiben strukturelle Ursachen, welche für ein nachhaltig höheres Inflationsregime sorgen könnten. Dazu zählen regulatorische Ursachen, Monopolsituationen oder der Verlust des Vertrauens ausländischer Kreditgeber in die wirtschaftliche Stabilität eines Landes.

 

Als struktureller Preistreiber, der den jüngsten Anstieg der Inflation maßgeblich mitverantwortet, gelten die Anstrengungen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft. In Deutschland sorgte nicht nur die schrittweise Einführung einer CO2 Steuer für höhere Verbraucherpreise, die Energiepreise stiegen auch seit dem Frühjahr auf den internationalen Rohwarenmärkten weiter an. Es gibt dafür den Begriff der «Greenflation», der eine politisch gewünschte Verschiebung der relativen Preise zugunsten nachhaltigerer Energiequellen beschreibt.

 

Die hohen Energiepreise und die weiterhin großzügige Liquiditätsversorgung der Wirtschaft durch die EZB bleiben die wichtigsten Gründe, weshalb die Inflation noch länger erhöht bleiben wird. Für Deutschland gehen wir bei Swiss Life Asset Managers für die kommenden fünf Jahre von einer durchschnittlichen Inflationsrate von 1,8 % aus. Mittelfristig pendelt sich also die Inflation in der Nähe des Zielwerts der Europäischen Zentralbank von «nahe bei, aber unter 2 %» ein. Dies klingt erst einmal nach Entwarnung, vor allem mit Blick auf die aktuellen Inflationszahlen. Aber mit Blick auf die jüngere Vergangenheit wird die Teuerung in diesem Szenario im Alltag spürbar bleiben. In den zehn Jahren vor der Pandemie lag die mittlere Jahresteuerung in Deutschland nämlich gerade einmal bei 1,2 %.

 

Wie kann man sich als Investor vor mittelfristig höherer Inflation und negativen Realzinsen auf dem Sparbuch schützen? In Zeiten steigender Inflation schneiden Anlagen in festverzinsliche Staatsanleihen immer schlechter ab als Investitionen in Sachwerte. Unter letzteren schnitten Immobilienanlagen langfristig besser ab als Aktien, wenn die Inflationsraten anstiegen.

 

Die oben beschriebenen Erwartungen beschreiben das in unseren Augen wahrscheinlichste Szenario. Wir zählen uns demnach zum «Team Transitory». Der Ausgang der aktuellen Inflationsdebatte bleibt aber ungewiss, andere Szenarien spielen in unseren Investitionsprozessen ebenfalls eine Rolle.

 

Den Ausgang der Geschichte von Hänsel und Gretel kennen wir aber. Wie es sich für ein Märchen gehört, kommt es zu einem glücklichen Ende: Die Kinder kehrten mit reichlich Perlen und Edelsteinen zu ihrem Vater zurück. Mit dem heutigen Wissen ist zu hoffen, dass Sie Ihr Vermögen in Immobilien investierten. Jedenfalls heißt es zum Ende: «Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen».

Stefan Mächler

Stefan Mächler lic. iur. HSG, war nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Hochschule St. Gallen 18 Jahre für die Credit Suisse Group in den Bereichen Kapitalmarkt und Asset Management tätig. Nach neun Jahren im Ausland und verschiedenen Stationen in Tokio, Osaka, Seoul und Frankfurt kehrte er Anfang 1999 in die Schweiz zurück und leitete als Managing Director den Bereich Sales & Marketing Europa und Schweiz der Credit Suisse Asset Management. Gleichzeitig war er die treibende Kraft bei der Gründung der börsenkotierten Immobiliengesellschaft Swiss Prime Site AG, deren Verwaltungsratspräsident er bis 2005 war. Von 2005 bis 2009 war er bei der Deutschen Bank zuerst für die Betreuung von Family Offices in der Schweiz verantwortlich und in den letzten zwei Jahren CEO der Privatbank Rüd, Blass & Cie AG. Von 2009 bis 2014 leitete Stefan Mächler als Mitglied der Gruppenleitung und Chief Investment Officer das Asset Management der Mobiliar. Seit 1. September 2014 ist Stefan Mächler Group Chief Investment Officer (Group CIO) und Mitglied der Konzernleitung der Swiss Life-Gruppe.

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